Wie wir als Fußballclub eine queerfreundliche Haltung etablieren können
Warum ist das wichtig?
Manchmal erscheint es Clubs ausreichend, Regenbogen-Fähnchen zu schwenken, um sich als vielfältig und ‚tolerant‘ zu präsentieren. Queere Fans bemängeln den Umgang der Clubs mit dem Thema Homo- und Transfeindlichkeit oft als ‚Heuchelei‘. Zum Beispiel, wenn Queer-Feindlichkeit im Ausland lautstark angeprangert wird, der Blick aber nicht auch selbstkritisch auf das eigene Land und den eigenen Club gerichtet wird. Lieber werden Torten in Regenbogenfarben angeschnitten oder Stadien entsprechend beleuchtet. Sichtbarkeit und öffentliche Zeichen für Vielfalt sind sehr wichtig – allerdings fehlt meistens eine ganzheitliche Idee, wie Vielfalt gefördert und Diskriminierung verhindert werden kann. Eher geht es um Vermarktung und Außendarstellung als um ein Verständnis von Diversität. Denn viele Fußball-Clubs tun sich immer noch schwer damit, konsequent queerfeindliche Diskriminierungen zu erkennen, zu benennen und Strukturen zu schaffen, um die betroffenen Personen vor grenzüberschreitendem Verhalten zu schützen.
„Haben wir keine wichtigeren Themen?“ – lautet eine häufige Reaktion auf die Forderung nach Anti-Diskriminierungsmaßnahmen. Abgesehen vom zweifelhaften Menschenbild, das dieser Frage zugrunde liegt, zeigen Studien, dass vielfältig aufgestellte Teams Innovationen fördern, Arbeitsergebnisse verbessern und bei der Rekrutierung erfolgreicher sind. Unternehmen mit genderdiversen Führungsriegen haben deutlich bessere Chancen, überdurchschnittlich gewinnbringend zu wirtschaften (siehe McKinsey Studie unter Weiterführende Materialien). Die Förderung von Vielfalt im Unternehmen ist also nicht nur eine Frage der Menschenrechte – sondern auch eine wirtschaftliche.
„Früher wurden soziale Themen wie Anti-Diskriminierung, Awareness und Diversität in der Fußballwelt eher belächelt. Ein großer Vorteil war, dass unsere Fanszene massiv von außen Druck gemacht und Engagement des Vereins eingefordert hat. Wir als Abteilung haben diese Themen über die Jahre ebenfalls gepusht und weiterentwickelt. Mittlerweile sind sie fest in unserer Werder-DNA verankert.“
Was sind umsetzbare Maßnahmen?
Um zu einer Haltung zu kommen, muss ein Club offen für einen Kulturwandel sein. Er muss bereit sein, sich an den gemeinsam entwickelten Werten zu orientieren und sie in (konsequentes) Handeln zu übersetzen.
Zwar geht die Initiative meist von intrinsisch motivierten Einzelpersonen aus; eine gelebte queerfreundliche Haltung entsteht aber nur dann, wenn auch die Führungskräfte der Vereine, respektive die Geschäftsleitungen, der Clubs den Mehrwert sehen und strukturelle Veränderung aktiv vorantreiben.
Basis für eine im Club gelebte Haltung kann beispielsweise ein gemeinsam (mit den Fans) erarbeiteter Ethikkodex sein (siehe Praxisbeispiele).
„Eine klare Haltung, die den Kern der eigenen Identität ausmacht und glaubhaft und konsequent jeden Tag gelebt wird, lässt sich auch besser vermarkten. Zudem werden Mitarbeiter über den eigentlichen Geschäftszweck hinaus motiviert, gute Leistung zu bringen.“
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Rechtliche Grundlagen
Diskriminierungsschutz ist rechtlich verankert. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet Fußballclubs nicht nur intern gegenüber ihren Mitarbeitenden, sondern auch in ihren gut besuchten Stadien zu Maßnahmen gegen Diskriminierung (siehe Weiterführende Materialien). Juristisch gibt es eine „Fürsorgepflicht“ von Arbeitgeber*innen, ihre Angestellten möglichst gut vor Diskriminierungen zu schützen. Eine verletzte Fürsorgepflicht kann Schadensersatzansprüche auslösen. Auch für Fans im Stadion gibt es einen Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung: Das AGG verbietet bei sogenannten „Massengeschäften“ – wozu der Stadionbesuch zählt – „eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Siehe zu den Verpflichtungen des AGG für Arbeitgeber auch die Weiterführenden Materialien beim Thema Awareness. -
„So ein Aufwand für diese kleine Minderheit?“
Diese Frage wird oft dann gestellt, wenn kaum queere Menschen im Club sichtbar sind. Jedoch müsste man sich viel eher fragen: „Warum sind hier so wenig queere Fans und Mitarbeitende?“
Der Anteil queerer Personen an der Gesamtbevölkerung liegt in Deutschland im Schnitt bei etwas über 10 Prozent. Seit Jahrzehnten gleichbleibend ist der Anteil an homosexuellen Menschen (ca. 4–6 Prozent), an trans* Personen (ca. 2 Prozent) und an Menschen, die mit intergeschlechtlichen Merkmalen geboren werden (ca. 3 Prozent), jeweils gemessen an der Gesamtbevölkerung. Es stimmt also nicht, dass es in den letzten Jahren zugenommen hat oder gar in Mode gekommen ist, sich als schwul, lesbisch, trans* oder inter zu bezeichnen.
Gleichzeitig nimmt die Zahl derjenigen, die sich als ausschließlich heterosexuell beschreiben, immer mehr ab, je jünger die Befragten sind. In der Generation der Babyboomer bezeichnen sich 87 Prozent als heterosexuell und in der Generation Z liegt dieser Anteil noch bei 68 Prozent. Wenn Fußball für junge Menschen weiterhin ansprechend sein soll, wird es also Zeit, sich aktiv um lsbtiq* Fans zu bemühen.
Zudem stehen in Deutschland nach eigenen Angaben vier von zehn der Befragten (40 Prozent) in direktem Kontakt zu schwulen oder lesbischen Personen (z.B. in der Familie oder im Freundeskreis). Das Thema Homofeindlichkeit betrifft also auch viele Heterosexuelle in ihrem persönlichen Umfeld.
Quelle: Ipsos Umfrage zu geschlechtlicher und sexueller Orientierung, siehe Weiterführende Materialien.
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Was CSR/CR Abteilungen tun können
Um eine vielfaltsfreundliche, menschenrechtsorientierte Haltung zu schaffen, müssen alle im Club kontinuierlich zusammenarbeiten. Die Verantwortung dafür liegt bei der Clubführung. Aber auch Mitarbeitende im Bereich ‚soziale Verantwortung‘ sind oft per Job-Definition mit dem Thema ‚Haltung‘ betraut.Aneignung von Wissen / WeiterbildungMuss die Clubführung erst noch überzeugt werden, ist es wichtig, sich ein hohes Maß an Expertise anzueignen. Aktuelle Studien, Zahlen, Daten und Fakten (siehe Weiterführende Materialien) sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus menschenrechtsorientierter Sicht sind hilfreich, um das Thema in den Führungsetagen immer wieder zu platzieren.
Im Netzwerk informierenIn vielen Fällen muss das Rad nicht neu erfunden werden, auch wenn Traditionen, Werte und handelnde Personen von Club zu Club unterschiedlich sind. Es lohnt sich ein Blick über den Tellerrand: Welche Clubs haben eine vielfaltsfreundliche Haltung etabliert und kommunizieren sie auch nach außen? Eventuell bestehen bereits Kontakte zu Mitarbeitenden in der entsprechenden Abteilung. Auch Veranstaltungen im Fußball-Netzwerk bieten sich an, um Kontakte mit den Kolleg*innen zu knüpfen und herauszufinden, wie andere Clubs vorgegangen sind.
Interne KommunikationDie Zusammenarbeit aller Mitarbeitenden im Club ist wichtig, um eine Haltung ganzheitlich und nachhaltig zu etablieren. Oft gehen die Bemühungen jedoch von einzelnen Mitarbeitenden aus. Dann braucht es mehr Verbündete! Wer interessiert sich in anderen Abteilungen für das Thema Vielfalt und Menschenrechte? Wer hat dazu vielleicht schon mal ein Projekt gestartet? Sich mit engagierten Kolleg*innen zusammenzutun, hilft, mehr Triebkraft für die Sache zu entwickeln und gegebenenfalls auch mehr Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen zu können. Bildet also Banden! Oder Stammtische oder Themengruppen.
Veranstaltungen und AktionenAktions- und Diversity-Tage im Stadion organisieren, Kampagnen planen – alles, was zur Sichtbarkeit und gleichzeitig zur Sensibilisierung des Clubs und des Umfelds beiträgt, hilft. Beispielsweise hat der BVB 2022 den Aktionstag „SchwarzBuntGelb – Für mehr Vielfalt im Fußball. Gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit“ durchgeführt. Mehr dazu beim Thema Fankultur.
Diskriminierung aktiv bekämpfenEs braucht konsequentes Handeln sowie eine klare Positionierung des Clubs gegen (jede Form von) Diskriminierung. Und das sowohl nach innen als auch nach außen. Viel zu oft wird alleine den Fans Queerfeindlichkeit unterstellt, diskriminierende Äußerungen von Spieler*innen, Trainer*innen und Clubvertreter*innen werden hingegen häufig verharmlost. Zudem gilt: Wer gegen Schwulenfeindlichkeit glaubwürdig sein will, muss sich mit demselben Elan auch gegen Sexismus und Trans*-Feindlichkeit stellen. Bleiben sexistische oder lsbtiq*-feindliche Aussagen von Funktionär*innen unkommentiert, wird das gesamte Engagement für Vielfalt infrage gestellt (mehr dazu beim Thema Umgang mit Diskriminierung).
(Männliche) Spieler zur ‚Strafe‘ für diskriminierendes Verhalten dazu zu verpflichten, im Kleid zu trainieren oder das Frauenteam zu coachen, sind keine angemessene Reaktion auf Sexismus und Queerfeindlichkeit. Sie sind vielmehr selbst diskriminierend, weil sie auf sexistische und schwulenfeindliche Klischees zurückgreifen.
Engagement öffentlich sichtbar machen„Tue Gutes und rede darüber“, lautet ein Sprichwort. Es ist wichtig, die Werte, für die der Club steht, auch nach außen zu tragen. Zudem bietet sichtbare Vielfalt auch für queere Fans einen Anknüpfungspunkt und die Chance, sich mit dem Club zu identifizieren. Allerdings ist es oft leichter, nach außen hin Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, als vielfaltsfreundliche Strukturen wirklich nachhaltig zu verankern. Deshalb ist es wichtig, den Fokus zunächst auf Letzteres zu legen. Dazu gehört auch, selbstkritisch über die eigenen Strukturen und deren Veränderungsbedarf zu berichten.
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Was Fanbeauftragte tun können
Sicher ist eine zentrale Maßnahme für Fanbeauftragte mit Fans dazu in Kontakt zu treten: Wie sehen sie die Werte des Clubs? Was sind ihre Bedarfe? Welche Wünsche sollten in den Club getragen werden? Gegebenenfalls zeigen sich hier mehr Bedarfe für Veränderung als vermutet.
Alle Möglichkeiten, die bei den Kolleg*innen der CSR/CR aufgelistet sind, können darüber hinaus auch für Fanbeauftragte umsetzbare Maßnahmen sein. -
Was Fans tun können
Fans können durch ihr Handeln eine vielfaltsfreundliche Haltung zeigen, zum Beispiel durch Transparente oder Banner, aber auch durch Statements auf eigenen Websites, über die Sozialen Medien oder durch Leser*innenbriefe.
Fans können kritisch hinterfragen, wie der Club zu Vielfaltsthemen steht: Welche Werte nennt er? Sind Diskriminierungsschutz und Vielfaltsförderung beispielsweise in der Satzung verankert? Gibt es einen Werte-Kodex, dem sich der Verein verschreibt? Und falls ja: Wie spiegelt sich dieser Kodex im praktischen Handeln wider?
Je nach Situation können Fans den Dialog mit dem Verein beispielsweise über die Fanbeauftragten, CSR-Mitarbeitende und / oder den Club-Fan-Dialog suchen. Oft sind Club-Angestellte dankbar für Impulse aus der Fanszene. Nicht nur die Führungsetage bestimmt den Kurs des Clubs. Fans können ebenso darauf Einfluss nehmen.
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Was Geschäftsführungen tun können
Die Verantwortung für einen umfassenden Veränderungsprozess liegt bei der Geschäftsführung eines Clubs. Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt und Anti-Diskriminierung sind aus Menschenrechts-Perspektive wichtig, sie lohnen sich auch aus wirtschaftlicher Perspektive und sie sind nicht zuletzt auch rechtlich relevant.
Diskriminierungsschutz ist also nicht ‚Nice to Have‘, sondern sollte ein zentraler Bestandteil der Strategie eines Clubs sein. Allerdings braucht es Willen und Mut, einen solchen Veränderungsprozess anzustoßen. Oder Druck von oben, um es mit Paul Keuters Worten zu sagen: „Die Club-Führungen sind ja in vielen Fällen auch von einem Aufsichtsrat bestellt. In fast allen Bereichen gibt es harte KPI’s [Key Performance Indicators, d.h. Leistungskennzahlen], warum dann nicht auch bei Vielfaltsthemen? Die Führung muss auch in diesen Bereichen auf ambitionierte Ziele verpflichtet werden, von denen dann eben auch die variable Vergütung abhängt.“ Für eine ausführliche Darstellung der Sicht von Paul Keuter auf Führung und Diversity im Fußball und viele (praxiserprobte) Tipps, wie ein Verein sich dazu besser aufstellen kann, siehe das Interview mit ihm unter Weiterführende Materialien.
Praxisbeispiele
Arbeitsdefinition gegen sexualisierte Gewalt bei Werder Bremen
Der Club hat sich auf den Weg gemacht und seine ‚rote Linie‘ im Jahr 2023 öffentlich definiert. Darin heißt es : „Der SV Werder Bremen positioniert sich klar gegen jegliche Formen von Diskriminierung und grenzüberschreitendem Verhalten und stellt sich der daraus resultierenden Verantwortung. […] Diese Definition gilt für den ganzen SV Werder Bremen, denn auch am Arbeitsplatz, im LZ und auf den Sportplätzen können die individuellen Grenzen von Einzelpersonen missachtet werden.“
Umgang mit Lennart Johanns bei Werder Bremen
Als der U19-Spieler Lennart Johanns von RB Leipzig nach einer Verwicklung in einen rassistischen Vorfall freigestellt wurde, gab ihm sein Ex-Verein Werder Bremen „eine zweite Chance“ – mit einem vorher intern abteilungsübergreifend entwickelten Plan. Die Abteilung Sport trat vor der Entscheidung an die Abteilung Fankultur und Antidiskriminierung heran – die Mitarbeitenden stimmten unter folgenden Bedingungen einer Rückkehr zu:
- Johanns darf bei Werder wieder spielen, solange er nicht in weitere Vorfälle dieser Art verwickelt ist.
- Außerdem hat Johanns einmal die Woche in der Abteilung Fankultur und Antidiskriminierung gearbeitet, sich dort in das Themenfeld Anti-Diskriminierung eingearbeitet und eine Veranstaltung für Nachwuchsspieler zum Thema Antirassismus organisiert.
Diese klare Haltung wurde kommuniziert und umgesetzt.
Ethik-Kodex bei Hertha BSC
Ein Ethik-Kodex definiert für alle Menschen rund um einen Verein (Fans und Mitarbeiter*innen im Club, inkl. Personal im sportlichen Bereich) gemeinsame Werte. Damit das möglichst von allen mitgetragen wird, müssen die Inhalte eines solchen Kodex partizipativ erarbeitet werden. Bei Hertha BSC gab es einen solchen Prozess 2021 unter Beteiligung der damaligen Geschäftsführung, der CSR Abteilung, der Fanbetreuung und verschiedenen Fans; der Prozess wurde von der KoFaS begleitet. Der Kodex beinhaltet ein klares Bekenntnis zu Inklusion, Vielfalt und aktiver Haltung.
Video: Coming Out im Fußball
Der HSV hat in Kooperation mit dem Verein Welcoming Out ein Video gedreht. Im Mittelpunkt steht der Amateur-Fußballer Marco, der im Rahmen seines Coming out ein unterstützendes Umfeld für queere Personen erfährt.
„Auf den Führungsebenen gibt es viel zu wenige, die bereit sind, in einer Runde von stereotypen Alphatieren (zu denen ich ja auch gehörte) mal zu sagen, dass einem zum Beispiel die Teilhabe von LSBTIQ* wichtig ist, bedeutet halt auch mal, einen schiefen Blick oder einen dummen Kommentar auszuhalten.“
Weiterführende Materialien
Informationen zum Allgemeinen Gleichstellungsgesetz
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet vielfältige Informationen zum AGG.
Interview mit Paul Keuter
Interview zu Diversity und Management mit dem ehemaligen Geschäftsführer von Hertha BSC.
Studie von McKinsey
Studie von McKinsey zum Zusammenhang zwischen Diversität und der finanziellen Leistung eines Unternehmens.
Ipsos Umfrage
Ipsos Umfrage zu geschlechtlicher und sexueller Orientierung.
Gegen sexuelle Belästigung
Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sind ein wichtiger Teil einer queerfreundlichen Unternehmenskultur, denn queere Menschen sind deutlich häufiger von sexueller Belästigung betroffen als cis-heterosexuelle Personen.
Was können Arbeitgeber tun, um ihre Mitarbeiter*innen vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen? Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat in einer wissenschaftlichen Studie Good-Practice-Beispiele gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zusammengestellt. Hier finden sich viele Beispiele und Materialien direkt aus dem Unternehmensalltag.