Wie man Wege ins Stadion für queere Personen sicherer machen kann
Warum ist das wichtig?
Für viele (nicht nur queere) Fans, die Diskriminierungen im Fußball befürchten, ist der Weg ins Stadion und aus dem Stadion zurück der schwierigste und gefährlichste Part. Hier gibt es räumliche Enge und unübersichtliche Situationen. Häufig üben Fans männlich-aggressives Verhalten aus oder versuchen, sich einander zu beweisen, vielfach in Zusammenhang mit Alkohol. Eine solche Atmosphäre kann Angst machen oder auch triggern.
„Die ziehen durch die Stadt, die besaufen sich, die wollen Stress machen. Und ich, wie andere Leute mich wahrnehmen, kann da sehr schnell in die Schusslinie geraten.“
Queere Fans – Der Weg ins Stadion
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Julia und Anny berichten über ihre Erfahrungen auf dem Weg ins Fußballstadion. Julia läuft auf das Berliner Olympiastadion zu und erzählt über den erhöhten Planungsaufwand als trans* Frau vor einem Stadionbesuch sowie verbalen Übergriffen. Anny fährt in der S-Bahn ins Berliner Olympiastation und berichtet über Angst vor Übergriffen in öffentlichen Verkehrsmitteln und teilt, dass Anny niemals alleine ins Stadion gehen würde. Beide teilen Ideen und Wünsche, wie die Situation auf dem Weg ins Stadion für queere Menschen verbessert werden könnte.
Was sind umsetzbare Maßnahmen?
Insbesondere bei der An- und Abfahrt und bei den Wegen im Stadion kommt es zu Diskriminierungen gegen lsbtiq* Fans. Hier dürfen die Clubs nicht wegschauen oder die Zuständigkeit von sich weisen, vielmehr braucht es erhöhte Aufmerksamkeit und neue Ideen.
Je größer und diverser die Gruppe ist, mit der queere Fans ins Stadion gehen, umso sicherer können sie sich fühlen. Der effektivste Schutz vor queerfeindlichen Übergriffen ist eine stabile Gruppe um die queere Person herum und eine Umgebung, in der Queerfeindlichkeit nicht geduldet wird.
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Was CSR/CR Abteilungen tun können
Die Situation ist in jedem Stadion anders, daher ist es wichtig, erstmal Erfahrungen einzuholen (in Zusammenarbeit mit Fanbetreuung / Fanprojekt und den Awareness-Teams), um dann passende Konzepte zu entwickeln.
Fans einbindenUm die Wege ins Stadion queerfreundlicher zu gestalten, ist es notwendig, die Erfahrungen, Wünsche und Verbesserungsvorschläge queerer Fans zu hören und auszuwerten. Wenn Awareness-Teams existieren, sollten auch unbedingt deren Erfahrungen im Bezug auf die Wege im und zum Stadion einbezogen werden.
Zudem ist es wichtig, dass sich die Fanszenen mit dem Thema Queerfeindlichkeit und deren Auswirkungen beschäftigen und aktiv werden, schließlich gehen die lsbtiq*-feindlichen Beleidigungen und Übergriffe vor allem von anderen Fans aus.
Hierbei kann der Verein unterstützen und motivieren. Für konkrete Ideen siehe die Maßnahmen für Fanbeauftragte / Fanprojekt / Fans.
Inseln und Anlaufstellen schaffenEntlang der Wege braucht es Anlaufstellen, wo engagierte und geschulte Personen ein Auge auf Queerfeindlichkeit (und jegliche andere Art der Diskriminierung) haben. Der Verein kann solche ‚unterstützenden Inseln‘ anschieben und bei der Umsetzung helfen. Solche Anlaufstellen können beispielsweise sein: ein ‚Queer Kiosk‘ im Umfeld des Stadions, der Regenbogenfahnen und Getränke verkauft, ein Infostand des Fanprojektes, ein Info-/Merchandising-Stand des schwul-lesbischen (queeren) Fanclubs bzw. einer lokalen Faninitiative gegen Diskriminierung oder eine Anlaufstelle des Awareness-Projekts vor dem Stadion oder an der ÖPNV-Haltestelle. Wenn man weiß, an wen man sich im Notfall wenden kann, macht das den Weg ins Stadion sicherer und sorgt zugleich für Sichtbarkeit. Die schlichte Präsenz queerer Anlaufstellen vermittelt bereits ein Willkommens- und Sicherheitsgefühl. Wichtig ist, dass an den ‚Inseln‘ auch Menschen positioniert sind, die wissen, wie sie eingreifen können und Kontakt haben zur Security und zum Awareness-Team. Konkrete Schritte, die ein Verein unternehmen kann, um die Einrichtung solcher Anlaufstellen anzuregen, können sein:
- Eine Karte von Orten und Beratungsstellen erstellen, an denen queere Fans Hilfe und Unterstützung finden können
- Aufkleber und / oder Plakate / Flyer entwickeln „Hier gibt es Schutz und Unterstützung bei sexistischen, rassistischen, queerfeindlichen Angriffen und Diskriminierungen“, die im und um das Stadion in Gaststätten, Tankstellen usw. verteilt werden
- Wege und Verkehrsmittel (z.B. Sonderzüge) in das Awareness-Konzept einbeziehen
- Aktionen gemeinsam mit den städtischen Verkehrsbetrieben planen
- Sponsoren einbeziehen: Viele Firmen haben interne Anti-Diskriminierungs-Regelungen und Selbstverpflichtungen. Man könnte mit den Sponsor*innen ausloten, was sie zu queerfreundlichen Wegen beitragen können (z.B. Infostand).
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Was Fans tun können
Fans können einen großen Beitrag dazu leisten, die Wege ins Stadion queerfreundlicher zu gestalten, schließlich gehen die lsbtiq*-feindlichen Beleidigungen und Übergriffe vor allem von anderen Fans aus. Um hier gegenzuarbeiten, ist es wichtig, sich in den Fanszenen mit dem Thema Queerfeindlichkeit und deren Auswirkungen zu beschäftigen und aktiv zu werden.
Niemanden alleine lassenFanclubs können Treffpunkte für den gemeinsamen Weg zum Stadion anbieten, bei dem man sich spontan anschließen kann. Zum Beispiel in einer Kneipe in der Innenstadt, von der aus zu einer festgelegten Uhrzeit eine gemeinsame Anreise beginnt. Dabei geht es nicht darum, dass queeren Fans unter sich bleiben, sondern es sollten sich auch Allies beteiligen, um möglichst große Gruppen zu haben. Darunter sollten sich auch idealerweise Fans bzw. Fanclubs befinden, die in der Fanszene als Autoritäten bekannt sind und hier eine Möglichkeit sehen, sich praktisch gegen Diskriminierung einzusetzen.
Außerhalb des Stadions braucht es Möglichkeiten des Kennenlernens und der Vernetzung, zu denen lsbtiq* Fans explizit eingeladen werden.
Fans sind aktiv gegen DiskriminierungMindestens genauso wichtig wie das Anbieten von Treffpunkten ist eine Umgebung, in der Queerfeindlichkeit nicht geduldet wird, in der umstehende Fans also sofort eingreifen, wenn Übergriffe stattfinden oder sich anbahnen. Dazu braucht es möglichst viele aufgeklärte Fans und eine aktive Fanszene, die sich gegen Diskriminierung einsetzt (siehe auch das Thema Fankultur).
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Was Fanbeauftragte tun können
Fanbeauftragte können Fans und Fanclubs, die sich gegen Diskriminierungen einsetzen, unterstützen. So stärken sie ein queerfreundliches Umfeld.
Niemanden alleine lassenFanbeauftragte können anregen, dass außerhalb des Stadions Möglichkeiten des Kennenlernens und der Vernetzung für queere und nicht-queere Fans geschaffen werden.
Fanbeauftragte können unterstützen, dass der Club sich am Christopher Street Day beteiligt oder bei einem queeren Stadtfest mit einem Stand vertreten ist, idealerweise in Kooperation mit einem queeren Fanclub.
Fanbeauftragte können anregen, dass Fanclubs Treffpunkte anbieten für den gemeinsamen Weg zum Stadion (siehe unter Maßnahmen für Fans).
Auswärtsspiele mitdenkenAuswärtsspiele werden als viel gefährlicher erlebt als Heimspiele. Denn sie sind mit längeren Wegen verbunden und für queere Fans ist oft nicht vorhersehbar, was sie unterwegs erwartet. Auch bei Auswärtsspielen können (in Zusammenarbeit mit dem Fanprojekt und dem Awareness-Team) Wege sicherer gestaltet werden, beispielsweise durch einen Wagen für Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen (FLINTA*) und / oder eine FLINTA*-Toilette im Fanzug oder einen Fanbus für FLINTA* etc.
Wege im StadionQueere Fans berichten, dass insbesondere die Wege zum Stadion für sie riskant seien. Hingegen ist die Aufmerksamkeit während des Spiels vorrangig auf den Platz gerichtet und die Gefahr deshalb geringer, zur individuellen Zielscheibe von Aggressionen zu werden. Jedoch sind auch die Wege im Stadion zu bedenken. Insbesondere bei den Zugängen zu den Toiletten sollte überprüft werden, ob sich hier etwas verbessern lässt, beispielsweise durch die Positionierung von Ordnungsdienst-Kräften bei den Toiletten (siehe auch das Thema Toiletten). Es lohnt sich, bei queeren (und weiblichen) Fans nachzufragen, welche Erfahrungen sie machen und was sie an Veränderungen empfehlen, denn sie sind die Expert*innen für die spezifische Situation im jeweiligen Stadion.
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Was Fanprojekte tun können
Das Fanprojekt kann ähnliche Maßnahmen zum Diskriminierungsschutz von queeren Fans auf dem Weg ins Stadion initiieren wie Fanbeauftragte und Fans. Eine detailliertere Beschreibung findet sich bei den Maßnahmen für Fans und Fanbeauftragte. Konkrete Beispiele, wie Fanprojekte Möglichkeiten zur Vernetzung von queeren und nicht queeren Fans gestaltet haben, finden sich in den Praxisbeispielen.
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Was die Geschäftsführung tun kann
Die Anreise spielt sich im öffentlichen Raum und im ÖPNV ab, es gibt eine Vielzahl von Zuständigkeiten und bisher wenig praxiserprobte Konzepte. Gerade darum ist es wichtig, ganz oben anzusetzen und in einer Top-down-Strategie zu kommunizieren, dass der Club hier ‚neue Wege‘ gehen möchte.
Eine der ersten Fragen dabei ist sicherlich: Ist unser Club für Wege denn überhaupt zuständig?
Ja und nein, denn es gibt natürlich im öffentlichen Raum weitere Zuständigkeiten (z.B. von ÖPNV, Stadt, Polizei). Aber auch wenn ein Club hier nicht das Hausrecht hat, hat er trotzdem Handlungsspielraum und ist es ja auch gewohnt, beim Thema Anreise tätig zu werden, sei es in Sicherheitsbelangen oder bei der Verknüpfung von Stadion-Tickets und ÖPNV.
Wichtig ist also, dass die Geschäftsführung sich für zuständig erklärt und ihre Kontakte zum örtlichen ÖPNV-Betrieb, der Deutschen Bahn, der Stadt oder Gemeinde und natürlich auch der Polizei nutzt, um die Wege ins Stadion queerfreundlicher zu gestalten. Aufgabe der Geschäftsführung ist es, dafür zu sorgen, dass die Ideen für queerfreundliche Wege, die von Fans, Fanbetreuung oder aus der CSR/CR Abteilung entwickelt werden, umgesetzt werden können.
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Was Sicherheitsbeauftragte tun können
Sicherheitsbeauftragte sollten sich fragen: Wo und wie können Sicherheitskräfte eingreifen oder besser noch: schon vorbeugend gegen queerfeindliche Übergriffe tätig werden? Hierfür ist eine Zusammenarbeit mit dem Awareness-Team und anderen Abteilungen nötig, die sich mit Anti-Diskriminierung beschäftigen (siehe die Maßnahmen für Fanbeauftragte).
Insbesondere bei den Zugängen zu den Toiletten lässt sich häufig schon etwas verbessern, z.B. durch die Positionierung von Ordnungsdienst-Kräften (siehe auch das Thema Toiletten). Denn queere Fans berichten, dass die Aufmerksamkeit aller Fans während des Spiels zwar vorrangig auf den Platz gerichtet und die Gefahr deshalb geringer ist, individuell zur Zielscheibe von Aggressionen zu werden. Jedoch steigt diese Gefahr, wenn man sich im Stadion bewegt, insbesondere bei unübersichtlichen Zuwegungen zu den Toiletten.
„Es fängt auf der Straße an, ich hätte auf jeden Fall wahnsinnige Angst vor Übergriffen allein auf dem Weg zum Stadion.“
Praxisbeispiele
Ideen für sichere Wege im Film „United in Pride“
Queere Fans haben Ideen und Strategien entwickelt, um gemeinsam sicher(er) ins Stadion zu gehen. Mehrere Beispiele finden sich in dem Film „United in Pride“ von QFF. So gibt es von den Rainbow Borussen einen offenen Kneipentreff vor jedem Spiel, von wo aus sich die Fans gemeinsam auf den Weg ins Stadion machen.
Weiterführende Materialien
Kooperation von Stadt, ÖPNV und Club
Um Wege zum Stadion und Fahrten im ÖPNV an Spieltagen sicherer und diskriminierungsärmer zu machen, kann eine Zusammenarbeit mit der Stadt und dem ÖPNV zielführend sein. So veranstaltet das Gleichstellungsbüro der Stadt Dresden in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk gegen Sexismus im Fußball unter Mitwirkung des Vereins Dynamo Dresden, der städtischen Verkehrsbetriebe und der örtlichen Opferberatungsstellen Fachtage zu sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum und bei Sportgroßveranstaltungen. Im Vorfeld wurde eine Umfrage zur Sicherheit von Frauen und LSBTIQ* im öffentlichen Raum durchgeführt.